Fachkräftemangel ist ein Mythos, mit dem wir aufräumen sollten. Vielleicht müssen(!) wir sogar, damit das Gejammer darüber ein Ende findet.
Verschiedene Verbände wie der Verein Deutscher Ingenieure und der Verband der Einzelhändler heulen schon seit Jahren herum, es gebe keine Fachkräfte. Aber die Realität sieht ganz anders aus. Laut der Bundesagentur für Arbeit kommen auf 100 freie Stellen im Schnitt 124 arbeitslos gemeldete Personen. Schaut man sich die Publikation, in der diese Zahlen veröffentlicht sind, genauer an, findet man dort eine Definition zum Thema Fachkräftemangel. Sie lautet wie folgt: „Als Fachkräftemangel bezeichnet man in der Regel den Zustand einer Volkswirtschaft, in dem eine bedeutende Anzahl von Arbeitsplätzen nicht oder nicht zeitgerecht durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit bestimmten Kenntnissen und Fähigkeiten besetzt werden kann, weil auf dem Arbeitsmarkt keine ausreichende Anzahl entsprechend qualifizierter Fachkräfte zur Verfügung steht.“[1]
Nach dieser Definition kann man in Deutschland pauschal weder von einem allgemeinen Arbeitskräftemangel noch von einem umfassenden Fachkräftemangel sprechen. Im zweiten Quartal 2022 waren in Deutschland rund 1,9 Millionen offene Stellen zu besetzen. Daraus zu schließen, es gebe einen Mangel an Fachpersonal, ist eine freie Interpretation und keine sachliche Schlussfolgerung.
Fachkräftemangel ist Unsinn. Hierzu ein banales Beispiel…
Ich möchte euch das Problem an folgendem Beispiel veranschaulichen: Stellen wir uns einmal vor, dass wir uns mit selbstgemachter Limonade einen florierenden Geschäftsbetrieb aufgebaut haben, der stetig wächst und immer mehr Limonade produziert. Das Geschäft läuft gut. Irgendwann können wir unsere Limonade nicht mehr alleine produzieren und verkaufen. Wir brauchen Hilfe und stellen Leute ein. Das Geschäft wächst immer weiter. Eines Tages erreichen wir einen Punkt, an dem wir einfach keine neuen Mitarbeiter mehr finden, um noch weiter wachsen zu können. Wir brauchen dringend Menschen, die Limonade abfüllen, den Vertrieb organisieren und die Flaschen transportieren.
Es bedarf also Fachkräfte, aber wir finden keine. Wir gehen zur Uni und suchen nach Personen, die uns unterstützen können, wie z. B. Logistikingenieure. Diese arbeiten gerade aber woanders oder haben auf derart „banale“ Tätigkeiten wie die Organisation von Limonade keine Lust. Melden wir uns bei der IHK, um uns nach Logistikern oder dem frei erfundenen Berufsbild der „Limonaden-Fachkraft“ zu erkundigen, erhalten wir auch dort keine positive Rückmeldung. So bleibt uns nichts anderes übrig, als einzugestehen: Wir haben einen Fachkräftemangel im Limonadenbusiness.
Wenn man aber genau hinsieht und das Problem analysiert, ohne sich von den Hiobsbotschaften der Verbände blenden und in Panik versetzen zu lassen, stellt man fest, dass der Mangel eine Täuschung ist. Es gibt Fachkräfte, aber eben am falschen Ort. Oder aber ihnen wird der Status einer Fachkraft aus diversen Gründen abgesprochen. Genauso wissen wir nicht, wie viele Fachkräfte nicht mehr in ihrem Ausbildungsberuf arbeiten, weil sie sich gegen diesen entschieden. Durch falsche Zahlen und falsche Annahmen über den Arbeitsmarkt wird der Mythos aufrechterhalten und sogar noch verstärkt.
Fachkräftemangel: Wir müssen Stellen sinnvoll besetzen, anstatt immer komplexere Einstiegshürden zu bauen!
Zu behaupten, es gebe mehr Lehrstellen als Auszubildende, ist genauso zweifelhaft wie die Behauptung, es gebe mehr offene Stellen als Fachkräfte. Augenscheinlich dreht sich alles um ein Überangebot an Produkten und eine hohe Nachfrage nach Konsumgütern, was zu einem scheinbaren Mangel an Fachkräften führt. Die Vielfalt an Jobs und Tätigkeitsfeldern ist einfach zu groß geworden. Wir sollten uns darauf konzentrieren, die offenen Stellen wieder sinnvoll zu besetzen, anstatt immer abstraktere Konzepte zu entwerfen, denen der Markt nicht entsprechen kann.
Oftmals ist es nicht notwendig, eine spezielle Ausbildung oder einen akademischen Abschluss zu haben, um einen Job auszuführen. Wichtiger ist, dass die Person die notwendigen Fähigkeiten besitzt, um die anfallenden Aufgaben auszuführen. Oder aber, dass sie das Potenzial besitzt, diese schnell zu lernen. Die SAP verbesserte seine Einstellungspolitik in den letzten Jahren hinsichtlich einer solchen Flexibilisierung.
Mit SAP Next-Gen [2] sollen Menschen ohne akademische Ausbildung die Möglichkeit bekommen, eine Karriere im Unternehmen zu starten. Möchte beispielsweise jemand ohne Abschluss in Informatik bei der SAP Programmierer werden und bewirbt sich auf eine Stelle so erhält er nach einigen Tests die Möglichkeit, seine Fähigkeiten nicht nur unter Beweis zu stellen. Vorher war die Vergabe der Position an ein Diplom geknüpft. Nun erlernt ein Interessent die „Skills“ zu erlernen, die er für die Erfüllung der Stelle benötigt.
Dieses Modell zeigt, dass es möglich ist, die benötigten Fachkräfte intern selbst auszubilden. Das beweist, ein Anlernen ist in dieser Form möglich. Somit sind die Leute schlussendlich in der Lage, jeden noch so spezifischen Job zu erledigen.